G A L E R I E    K A R I N    S A C H S
 
 
 


DEBORAH SENGL

 
"Ertarnungen II"
 
12. November - 17. Dezember 2005


“Camouflage” ist wie “Avantgarde” ein Begriff des Militärwesens. Wenn die Camouflage durchschaut, die Tarnung erkannt wird, besteht Gefahr. Der enttarnte Spion kann nicht mehr im Geheimen wirken. Aber es gibt eine weitere Variante. Denn es kann sein, dass die Tarnung als solche sichtbar sein soll. Dafür hat Sengl schon früh während des Studiums an der Akademie für ihre eigenen Arbeiten das sperrige Kunstwort “Er-tarnung” eingeführt, als ein mögliches Gegenteil der gefährlichen Enttarnung.
Das Präfix “er” er-öffnet nämlich den Beginn einer Handlung. Das Paradoxe daran ist, dass der einsetzende Prozess der Tarnung die Sichtbarmachung bedeutet, sie also wieder aufgehoben wird.
Diesem Rollenspiel verdankt sich das Potential der Verirrungen. Man erkennt nicht mehr sofort die Fronten, es kann ja auch umgekehrt sein. Täter ertarnen sich keine Opferrolle, sondern tarnen sich, bis sie unfreiwillig enttarnt werden, worauf ihre Beute entflieht.
In dieser Arena verhilft daher der Unbegriff der “Ertarnung” den Opfern zu einer Illusion der Täterschaft, die von den Betrachtern entschlüsselt, d.h. enttarnt werden muß, um die künstlerische Koppelung überhaupt zu begreifen. In der Tierwelt gibt es dieses Phänomen nicht, es ist eine menschliche Schutzbehauptung, bei welcher die Opfer trotzdem kein Entrinnen finden. Es liegt ihr der verdrängte Wunsch zugrunde, unschuldig geblieben zur Tat zu schreiten. Das Opfer kann sich nicht tarnen, weil die Täter es immer ausfindig machen werden, weshalb es im Versuch einer Ertarnung Opfer bleiben muss, bzw. die wilde Tat mißlingt. Die “Ertarnung” ist die illusionäre Hoffnung des Opfers, auch einmal andere zu Opfern machen zu können. Die Täter lassen sich so etwas nicht gefallen, weshalb die Unterscheidung der Rollen Aufgabe der Betrachter dieser Werke ist. Das gelingt solange, wie die Ertarnung additiv vollzogen wird - es gelingt nicht mehr, wenn es zu einer Vermischung kommt.
Der Täter spielt die Opferrolle, um leichter an die Beute heranzukommen. Was aber bezweckt es, wenn das Opfer vorgibt, Täter zu sein? Es handelt sich um eine psychologische, nicht naturhafte Schutzbehauptung. Die Evolution hat eine solche Lösung nicht vorgesehen.
 


 

"Der Senior – zur Zweisamkeit –
ertarnt sich seinen tierischen Begleiter",
2005 150 x 120 cm, Acryl/Leinwand